Von der Heimat in die Fremde

Migration in Bundesrepublik und DDR

Mit stolzer Miene steht der millionste Gastarbeiter der Bundesrepublik, Armando Rodrigues aus dem kleinen Dorf Vale de Madeiros in Portugal, neben dem Moped, das er bei seiner Ankunft am 10.09.1964 im Köln-Deutzer Bahnhof geschenkt bekam. Nach mehr als zwei Tagen Fahrt war er nicht darauf gefasst, bei seiner Ankunft mit Pauken und Trompeten, deutschen Märschen und „Auf in den Kampf Torero“ begrüßt zu werden. (akg-images / picture-alliance / dpa)

THEMEN  >> Themenmodul I  –  Modul 1

Nach dem Ende des Krieges wurden die zerstörten Städte und Dörfer wiederaufgebaut. Fabriken produzierten Waren und der Handel kam wieder in Schwung. Auf einmal gab es Arbeit im Übermaß und es herrschte fast keine Arbeitslosigkeit mehr. Was nun jedoch fehlte, waren Arbeitskräfte. Menschen aus dem Ausland sollten aushelfen. Doch wie kam es überhaupt dazu? Warum verließen Menschen ihre Heimat, um in der Bundesrepublik oder der DDR zu arbeiten? Und was bedeutete eine Arbeit in einem der zwei deutschen Staaten für die angeworbenen Arbeitskräfte?

Der VW-Käfer: ein Exportschlager der deutschen Nachkriegswirtschaft in den 1950er- und 1960er-Jahren und ein Symbol des sogenannten Wirtschaftswunders. (Vwexport1300, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

Arbeitskräfte gesucht – In der Bundesrepublik!

Zu Beginn der 1950er-Jahre stieg die Produktion von Waren in der Bundesrepublik wieder stark an. Solch eine Rückkehr zur Normalität hatte man sich zum Kriegsende kaum vorstellen können. Es war der Beginn des „Wirtschaftswunders“ – die Wirtschaft wuchs, es herrschte kaum Arbeitslosigkeit und der allgemeine Wohlstand in der Gesellschaft nahm zu. Immer mehr Menschen konnten sich Konsumgüter wie ein eigenes Auto oder eine eigene Waschmaschine leisten. Arbeit gab es im Übermaß. Was jedoch fehlte, waren Arbeitskräfte.

Um das Wirtschaftswachstum zu garantieren, beschloss die Bundesregierung, Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuwerben. Vor allem im landwirtschaftlichen Bereich und im Bergbau, aber auch für den Straßen- und Brückenbau wurden Arbeitskräfte gesucht. Viele bundesdeutsche Arbeiter*innen wollten diese schwere und schlecht bezahlte Arbeit nicht mehr machen. In sogenannten Anwerbeabkommen wurden mit anderen Staaten Abkommen über die Vermittlung von Arbeitskräften beschlossen. Weil ihr Aufenthalt nur vorübergehend sein sollte, wurden sie als „Gastarbeiter“ bezeichnet. Sie sollten kommen, einige Jahre arbeiten und dann wieder in ihre Heimatländer zurückkehren.

„Unsere Arbeitsmarktsituation hat sich in den letzten zehn Jahren mehr und mehr versteift. […] Die hieraus erwachsenen Gefahren für das weitere Wachstum unserer Wirtschaft und die Stabilität unserer Währung sind hinlänglich bekannt. In dieser Situation sind uns die ausländischen Mitarbeiter eine wesentliche Hilfe.“

(Der Vorsitzende des Verbandes der Metallindustrie Baden-Württemberg und spätere Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände [BDA], Hanns Martin Schleyer, im Jahr 1966)

„Die Aufenthaltserlaubnis [für ausländische Arbeitnehmer] wird über eine Gesamtaufenthaltsdauer von zwei Jahren hinaus nicht erteilt.“

(Regelung der Vermittlung türkischer Arbeitnehmer in die Bundesrepublik Deutschland. Deutsch-türkische Vereinbarung vom 30. Oktober 1961 in: Bundesarbeitsblatt. Jahrgang 1962. Nr. 3 vom 10. Februar 1962. S.69-71 )

Selbst der Bau der Berliner Mauer ist eng mit der Geschichte der Gastarbeiter verknüpft: Mit dem Bau der Berliner Mauer ab 1961 verschärfte sich der Arbeitskräftemangel in der Bundesrepublik zusätzlich – waren bisher jeden Monat Tausende Ostdeutsche in die Bundesrepublik gekommen, wurde dieser Zustrom von Arbeitskräften nun gestoppt. Um dieser Auswirkung des Mauerbaus zu begegnen, sollten Gastarbeiter angeworben werden. (imago images / Günter Schneider)

Vereinbarungen über die Anwerbung und Vermittlung von Arbeitskräften

Anwerbeabkommen für „Gastarbeiter“ wurden mit verschiedenen Staaten abgeschlossen. Meist war die wirtschaftliche Situation in diesen Ländern nicht so gut wie in der Bundesrepublik. So waren zum Beispiel der Süden Italiens oder der Osten der Türkei noch sehr landwirtschaftlich geprägt und viele junge Menschen fanden keine Arbeit. Manchmal waren auch politische Beschränkungen Gründe für die Arbeitsmigration in die Bundesrepublik.

Arbeitskräfte gesucht – auch in der DDR

Auch in der DDR war man auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen. Viele Menschen verließen die DDR – meist in Richtung Bundesrepublik. Für viele DDR-Betriebe war dies ein großes Problem, da vor allem junge und gut ausgebildete Menschen das Land verließen. In den 1960er-Jahren kam es auch in der DDR zu einem Wirtschaftswachstum und sie stieg zur zweitstärksten Industriemacht des Ostblocks auf.

Zugleich schloss die DDR Verträge mit anderen Staaten über die Anwerbung, die Vermittlung, aber auch speziell die Ausbildung von Arbeitskräften. Im Rahmen der „sozialistischen Bruderhilfe“ sollten junge Menschen aus anderen sozialistischen Ländern in die DDR kommen und sich als Fachkräfte ausbilden lassen. Danach sollten sie in ihre Heimatländer zurückkehren und beim Aufbau behilflich sein. Im Laufe der Jahre rückte der Aspekt der Ausbildung jedoch immer mehr in den Hintergrund. Betriebe benötigten immer mehr Arbeiter*innen – vor allem in den Bereichen, in denen harte körperliche und anstrengende Arbeit vonnöten war. Um sich von der Bundesrepublik abzugrenzen, nannte man die Arbeitsmigrant*innen in der DDR „Vertragsarbeiter“ oder „ausländische Werktätige“.

Sozialistische Bruderhilfe

Sozialistische Bruderhilfe“ oder „Solidarität mit den sozialistischen Völkern der Weltgehörten in der DDR und den anderen sozialistischen Staaten zur Staatsraison. Wo sich auch immer nach sozialistischer Lesart ein Volk von den Fesseln des „Kolonialismus” und „Imperialismus” befreien konnte, sich zum sozialistischen Lager bekannte oder einfach nur gegen die Politik der Westmächte war, war auch die DDR bereit, Hilfe zu leisten. Dies geschah nicht gänzlich ohne Eigennutz, denn oft hatten diese Länder wertvolle Bodenschätze, Rohstoffe und auch Arbeitskräfte zu bieten, die in der DDR dringend gebraucht wurden.

Werkzeugmaschinenbau in der DDR, Karl-Marx-Stadt/DDR, 28.5.1989. Ein vietnamesischer Vertragsarbeiter wird von einem Werkzeugmeister angelernt. (Bundesstiftung Aufarbeitung, Klaus Mehner, Bild 89_0528_WIF_Kombinat_04)

Abkommen zur Ausbildung und Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte

Verträge zur Ausbildung junger Menschen und für Vertragsarbeiter*innen wurden mit verschiedenen Staaten geschlossen. Während die ersten Arbeitsmigrant*innen aus sozialistischen Nachbarländern kamen, warb die DDR aufgrund des steigenden Bedarfs im Lauf der Jahre auch im außereuropäischen Ausland Arbeitskräfte an. Dabei wurden nur Verträge mit sozialistisch ausgerichteten Ländern geschlossen.

DDR-Propaganda

„Völkerfreundschaft“ und „internationale Solidarität“ waren in der DDR weitverbreitete Begriffe, die sowohl in mündlicher als auch in schriftlicher Form zu Propagandazwecken verbreitet wurden. In der DDR wuchs man mit diesen Ideen und Idealen auf – die „Erziehung zu Solidarität“ spielte eine wesentliche Rolle im Alltagsleben. Die „Freundschaft“ zu Nordvietnam und die damit einhergehende Solidarität waren ein Beispiel davon.

„Je stärker die DDR – desto stärker auch die DRV [Nordvietnam].“

Nguyen Song Tung – ehemaliger vietnamesischer Botschafter 1971 in Dresden.
(Quelle: Naumann, Sandra Zum Studium in der DDR: Zwischen Solidaritätsbasar und Kaderschmiede, Hamburg  2003, S.37.)

Zum Studium in die DDR

Unter dem Aspekt der „internationalen Solidarität“ und „Bruderschaft“ wurden Studierende und gelernte Arbeitskräfte in die DDR geworben. Versprochen wurde ihnen Arbeit und Ausbildung sowie die Hilfe ihrer „deutschen Freunde“.

„Während die Angehörigen die geliebte vietnamesische Heimat verteidigen, bereiten sich [vietnamesische] Studenten darauf vor, hervorragende Fachleute zu werden. Der Achtung und Hilfe ihrer deutschen Freunde dürfen sie immer gewiss sein.“

(Quelle: DDR-Zeitschrift „Osterland“, Bildunterschrift,, An alle: Helft Vietnam, in: UZ, Nr.1/13.01.1967, S. S. 1.)

Ein junger Vertragsarbeiter aus Mosambik an einer Maschine in einem Betrieb in Weimar/DDR. (Bundesstiftung Aufarbeitung, Uwe Gerig, Bild 3422)

Staatsverträge zur Arbeitsvermittlung

Als die Abkommen über Arbeitsmigration mit der Bundesrepublik und der DDR zustande kamen, sahen hierin viele Menschen in den Anwerbeländern eine neue Chance. Für sie war es die Hoffnung auf eine besser bezahlte Arbeit, eine Ausbildung oder sogar auf ein Leben in Freiheit. Manche suchten auch einfach nur das Abenteuer oder wollten im Ausland arbeiten. In vielen Anwerbeländern waren Armut und Arbeitslosigkeit hoch – eine vorübergehende Arbeit in einem der zwei deutschen Staaten bot einen Ausweg. Die Abkommen waren auch im Interesse der Regierungen der Anwerbeländer. Ein Arbeitsaufenthalt im Ausland konnte die Arbeitslosigkeit senken, soziale Spannungen entschärfen oder die Ausbildung von Fachkräften fördern.

Eine Gruppe von Arbeiterinnen bei der Arbeit in einem Betrieb in West-Berlin. Nach dem Anwerbestopp im November 1973 gewann der Familiennachzug immer stärker an Bedeutung – 53 Prozent der türkischstämmigen Einwohner sind auf diesem Weg nach Deutschland gekommen. 17.10.1980. (picture alliance / zb / Paul Glaser)

Ausreisen aus der Türkei?

Die Republik Türkei war in den 1960er-/70er-Jahren geprägt von einer mehrjährigen Wirtschaftskrise, politischen Streitigkeiten und bewaffneten Unruhen. Politische Parteien sowie das Militär kämpften immer wieder um die Macht. 1960 und 1980 wurde die Regierung vom Militär abgesetzt (Putsch). Es kam zu Repressionen gegen Oppositionelle. Nach dem Putsch 1980 wurden mehr als 650.000 Menschen festgenommen, 14.000 verloren ihre Staatsangehörigkeit und 30.000 Menschen verließen als politische Flüchtlinge das Land. In den 1980er-Jahren kam es auch zum erneuten bewaffneten Konflikt mit den im Osten der Türkei lebenden Kurden. Dabei starben zehntausende Menschen und Hunderttausende flohen aus der Region. Weiterhin waren die wirtschaftliche Not in den ländlichen Regionen, Abenteuerlust oder die Möglichkeit einer Auslandserfahrung Beweggründe, ins Ausland zu gehen.

Die Hoffnung auf ein klein bisschen Wohlstand

Kazim Arslan kam 1969 in die Bundesrepublik. In der Türkei ließ er seine Familie zurück. Aufgrund von Streitigkeiten mit seinem Vorgesetzten verlor er seine Arbeit in Ankara.

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„Wir hatten damals in den sechziger Jahren keine Ahnung von Deutschland, auch ich nicht. Die Türken die damals aus Deutschland zu Besuch kamen, sagten: ,ich geh mit der Krawatte zur Arbeit und komme auch mit der Krawatte zurück.‘ – Als wir das hörten, dachten wir, da gehen wir auch hin. Ich hatte damals Probleme bei der Polizei und wollte da weg. […] Ein Vorgesetzter mochte mich nicht und versuchte, mir etwas anzuhängen. So suchte ich nach einer Möglichkeit, etwas anderes zu tun. Die Geschichten über Deutschland gefielen mir. Aber leider haben die ersten Türken, die nach Deutschland gingen, über die Verhältnisse in Deutschland ziemlich viele Lügen erzählt. Die meisten waren Aufschneider und behaupteten, in Deutschland im Geld zu schwimmen. Dabei verschuldeten sie sich, um sich einen Mercedes zu kaufen und in der Türkei damit anzugeben. Das stellte sich alles sehr viel später heraus.“

Kazim Arslan, geb. 1934, kam 1969 nach Deutschland

Quelle: gekommen und geblieben. Deutsch-türkische Lebensgeschichten, hrsg. v. Michael Richter, Hamburg 2003, S.86ff. Der kostenlose Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Edition Körber, Hamburg,

 

Deutschland als Chance

Von den zwei deutschen Staaten hatte man nur vage und oftmals rosige Vorstellungen. Eine Arbeit in einem der zwei deutschen Staaten wurde als eine lebensverändernde Gelegenheit gesehen – Missstände und Sorgen verband man damit eher nicht. Darko Brezonic wurde im ehemaligen Jugoslawien geboren und kam mit zehn Jahren nach Deutschland. In der Heimat beneideten ihn viele Klassenkameraden, erzählt er heute. Denn Deutschland galt als das Land der Arbeit, des Geldes und des Wohlstandes.

Ausreisen aus Vietnam?

In der Sozialistischen Volksrepublik Vietnam entschieden oftmals nicht die jungen Menschen über ihre Entsendung in die DDR, sondern die Familie oder die Eltern. Damals wie heute nehmen die Familie und der Familienverband, aber auch die Unterstützung des Staates in Vietnam eine zentrale und wichtige Rolle ein. Einen Arbeitsauftrag in der DDR zu bekommen, bedeutete dabei für viele, nicht nur die eigene Familie, sondern auch gleichermaßen den vietnamesischen Staat zu unterstützen.

Für Vietnam war es in den 1970er- und 1980er-Jahren besonders wichtig, zahlreiche Facharbeiter und Spezialisten im Ausland ausbilden zu lassen. Denn in dem kriegsverwüsteten Land herrschte eine hohe Arbeitslosigkeit und es gab Hungersnöte. Seit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 hatte sich das Land bis 1975 faktisch immer im Krieg befunden. Als französische Kolonie wurde es 1941 von den Japanern besetzt, erkämpfte sich 1955 die Unabhängigkeit von Frankreich und war bis 1975 Region des „Vietnamkrieges“. Das Know-how der in der DDR ausgebildeten Absolventen sollte daher später vor allem helfen, das vom Krieg verwüstete Land neu aufzubauen.

Vietnamkrieg 1954-1975

Im Friedensvertrag von 1954 wurde Vietnam in einen kommunistisch regierten Norden und die autoritär regierte Republik Südvietnam geteilt. Anfang der 1960er-Jahre formierten sich in Südvietnam kommunistische Partisanenverbände („Vietcong“) und es kam zum Bürgerkrieg. Die USA fürchteten, dass ganz Vietnam an die Kommunisten fallen könnte. Sie schickten Truppen nach Südvietnam und bombardierten Nordvietnam, das den Vietcong unterstützte. Der Krieg weitete sich nach Kambodscha und Laos aus. Weltweit protestierten immer mehr Menschen gegen den Krieg. Schließlich zogen sich die USA nach und nach zurück. 1975 endete der Krieg mit der Eroberung Südvietnams. Bis dahin verloren fast 60.000 US-Soldaten und zwischen zwei und fünf Millionen Vietnamesen ihr Leben.

„Boatpeople"-Flüchtlinge

Die Eroberung Südvietnams hatte in den Folgejahren eine große Fluchtbewegung zur Folge. Das Land war völlig zerstört. Vorherige Unterstützer des südvietnamesischen Staates, aber auch unschuldige Menschen wurden verhaftet, in Umerziehungslager interniert, gefoltert oder hingerichtet. Mehr als 1,6 Millionen Menschen entschieden sich zur Flucht in kleinen Fischerbooten über das Meer. Die Boote erreichten oftmals die Küsten nicht und sanken – schätzungsweise mehr als 250.000 Menschen starben. Die „Boatpeople“ genannten Flüchtlinge fanden vor allem in den USA und in Frankreich eine neue Heimat, aber auch die Bundesrepublik nahm 40.000 von ihnen auf. Die DDR hingegen sah die Boatpeople negativ, da sie vor der kommunistischen Herrschaft Nordvietnams flohen.

Yeu To Quha, yeu dong bao! – Liebe die Heimat, liebe das Volk!

Hoc tap tot, lao dong tot! – Lerne gut, arbeite gut!

Doan ket tot, ky luat tot! – Übe Solidarität und halte Disziplin!

Giu gin ve sinh that tot! – Halte Sauberkeit!

Khiem ton, that tha, dung cam! – Sei bescheiden, ehrlich und tapfer!

(Quelle: Feige, Michael: Vietnamesische Vertragsarbeiter. Staatliche Ziele – lebensweltliche Realität, in: Almut Zwengel (Hrsg.): Die „Gastarbeiter“ der DDR. Politischer Kontext und Lebenswelt, Berlin 2011, S. 35-53, hier: S.40.)

Eine Gruppe von sogenannten „Boatpeople“-Flüchtlingen“ auf einem kleinen Fischerboot im Südchinesischen Meer. Die 35 Flüchtlinge werden von einem US-Kriegsschiff gerettet. Zuvor waren sie acht Tage über das offene Meer geflüchtet. (akg-images / Pictures From History)

Aufbruch zu neuen Möglichkeiten

Viele Vietnames*innen waren noch gezeichnet von dem Krieg, der in ihrem Land gewütet hatte und vieles zerstört hatte. Eine Gelegenheit, in der DDR zu arbeiten, sahen viele von ihnen als „Belohnung“ an. Im Interview erzählt Nguyen Tien Duc über die Möglichkeiten, die sich ihm als jungem Vietnamesen in der DDR boten.

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Hong Trung Dinh: Kindheit in Vietnam

Hong Trung Dinh wurde 1967 in Nordvietnam geboren und kam mit 18 Jahren zur Ausbildung in die DDR. Im Interview erzählt er von seiner Schulzeit in Vietnam und was es für ihn bedeutete, in die DDR zu gehen.

Tauglich für die Arbeit in Deutschland?

Während in der Bundesrepublik zu Beginn der Anwerbephase insbesondere ungelernte Arbeiter*innen eingestellt wurden, ging man während der sich verschlechternden Wirtschaftslage Anfang der 1970er-Jahre dazu über, gezielt um Fachkräfte zu werben. Ungelernte türkische oder griechische Arbeiter*innen hatten weniger gute Chancen, eine Anstellung in Deutschland zu erhalten, Fachkräfte allerdings schon.

In der DDR hingegen ging man genau umgekehrt vor. Anfangs wurden zumeist nur Fachkräfte ins Land gelassen und oftmals noch ausgebildet. In den 1970er- und 1980er-Jahren, als der Arbeitskräftemangel in der DDR-Wirtschaft immer gravierender wurde, wurden auch ungelernte Arbeiter*innen angeworben.

Von der Türkei nach Deutschland

Eine Arbeitserlaubnis in der Bundesrepublik wie auch in der DDR bekam man aber nur, wenn man eine ärztliche Untersuchung bestand. Bei dieser prüften deutsche Ärzte, ob man überhaupt „arbeitstauglich“ für die Arbeit war. Egal ob nun Ost oder West, für beide Länder stand fest: Es sollten nur die jungen und gesunden Arbeitskräfte genommen werden.

Ali Başar verließ schon als 13-Jähriger seine Heimatprovinz Tunceli (kurdisch Dêrsim) im Osten der Türkei. Immer wieder war es in der Provinz zu Unruhen zwischen der vorwiegend kurdisch-alevitischen Bevölkerung und der türkischen Zentralregierung gekommen. In Istanbul fand er Arbeit und unterstützte damit auch seine Familie. Im November 1961 eröffnete sich für ihn die Chance auf einen Arbeitsaufenthalt in der Bundesrepublik.

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„An die Atmosphäre bei den medizinischen Untersuchungen kann ich mich noch sehr gut erinnern. Alle waren aufgeregt, voller Hoffnungen. Wir haben viel gelacht. Wer allerdings mit einem schlechten Ergebnis aus den Untersuchungen kam, hat oft auch geweint. Die jungen Menschen, die sich für Deutschland beworben hatten, waren in der Türkei ja alle arbeitslos. Mit der Ablehnung verloren sie jede Hoffnung. Es ging bei vielen von uns ums Überleben. Ich will aber auch etwas Lustiges erzählen. Bevor ich an die Reihe kam, eilte ein Kollege auf mich zu, der gerade untersucht worden war: ‚Hey, Ali! Mein Urin ist super! Willst Du was davon haben?‘, fragte er. Für ihn wäre das ein gutes Geschäft gewesen – 15 oder 20 türkische Lira konnte man für guten Urin bekommen.
Bei meiner Untersuchung waren eine Schwester und zwei, drei Ärzte anwesend. Ich wurde von Kopf bis Fuß untersucht: abgeklopft, abgetastet, geröntgt. Das hatte schon alles seine Ordnung so. Wenn jemand krank gewesen wäre, hätten ja die Krankenkassen in Deutschland dafür aufkommen müssen. Die Ärzte prüften meine Augen, meine Lunge, mein Herz. Eine Narbe auf meinem Bauch machte sie stutzig. Woher die Narbe stamme, wollten sie wissen. Ich wusste es nicht mehr, ich muss noch sehr klein gewesen sein, als ich sie mir zugezogen habe. Am Ende habe ich aber bestanden. Den Bescheid bekam ich eine Woche später per Post. Laut Arbeitsvertrag und Visum sollte ich zwei Jahre in Deutschland bleiben.
Was für eine Freude das war! Mein erster Gedanke war: Nun würde ich meiner Mutter, meinen Geschwistern etwas zu essen geben können. Ich bin der Älteste von uns. Meinen Vater habe ich kaum kennengelernt, er ist gestorben, als ich sechs Jahre alt war. Meine Mutter hat uns allein großgezogen. Sechs Geschwister! Wir besitzen kein Land, meine Geschwister hatten keine Arbeit, einer meiner Brüder ist auf einem Auge blind. Wir haben in großer Armut gelebt. Wie kann ich das beschreiben, man kann sich das hier ja nicht vorstellen. In einer Blechhütte haben wir gewohnt. “

Quelle: zitiert nach: Hunecke, Dorte: „Mit den Peitschenriemen der Armut kam ich hierher“ bpb 10/2011

Polnische Bergleute helfen 1976 beim Ausbau des Arno-Lippmann-Schachtes im VEB Zinnerz Altenberg. (akg-images / picture-alliance / ZB / Ulrich Hässler)

„Arbeiter auf Zeit“ oder neue Mitbürger?

Entwicklung der Arbeitsmigration

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